Newsletter vom 14.07.2022 Newsletter
Das Getreide aus der Ukraine und die Kälber in Baden-Württemberg …
Jedes Jahr werden ca. 40.000 Kälber im Alter von 4-8 Wochen, aus Baden Württemberg exportiert. Entweder nach Norddeutschland, nach Holland oder sogar nach Spanien. Dabei handelt es sich überwiegend um männliche Kälber aus Milchviehbetrieben. Diese Kälber, die man eigentlich aufziehen könnte, um sie als Bullen oder Ochsen nach zwei Jahren zu schlachten und daraus Fleisch zu gewinnen, sind für die Mast nicht geeignet. Sie stammen von Rinderrassen ab, die so intensiv auf Milchleistung gezüchtet wurden, dass sie selbst bei guter Fütterung kaum Fleisch ansetzten. Holstein Friesen, Rot- bzw. Schwarzbunte oder Brown Swiss sind solche Hochleistungskühe, die schon mal 10.000 l Milch in einem Jahr geben.
Es ist die gleiche Problematik wie bei den Legehennen, bei der die männlichen Kücken getötet werden, weil sie für die Mast nicht geeignet sind; so sind es bei den Hochleistungsmilchkühen die Kälber.
Eine der zahlreichen Fehlentwicklungen der industrialisierten Landwirtschaft.
Aber es geht noch weiter: Die Kuh verfügt, wie alle Wiederkäuer, dank ihres speziellen Verdauungssystems über die Gabe, dass sie Gras / Zellulose verdauen kann. Aber selbst das beste Gras oder Heu hat nicht genug Inhaltsstoffe, damit eine Kuh daraus 10.000 Liter Milch pro Jahr erzeugen kann. Deshalb wird „Kraftfutter“, also Getreide, Mais und Soja zugefüttert, und zwar in gewaltigem Umfang. Der Rinderreport weist aus, dass in der konventionellen Milchwirtschaft nur 40% der Milch aus dem Grundfutter (Gras, Heu, Silage) stammen – das bedeutet von 100 Liter Milch werden 60 Liter mit Kraftfutter erzeugt. Im Ökolandbau sind es „nur“ 40 Liter aus Kraftfutter – das ist besser… aber nicht wirklich gut (Gräter Frank, n.d.)
Und hier besteht der Zusammenhang zum Getreide aus der Ukraine. Die Ukraine erzeugt deutlich mehr Getreide als das Land selbst benötigt und exportierte in der Vergangenheit ca. 60 Millionen Tonnen pro Jahr auf den Weltmarkt. Zum Vergleich: Deutschland erzeugt insgesamt 40 Millionen Tonnen Getreide.
Interessant ist:
1) ca. 60% des Getreides aus der Ukraine ist Futtergetreide und löst somit das Problem der Welternährung nicht, weil es nicht zum Backen, also somit zur Ernährung der Menschen, geeignet ist.
2) der Versorgungsengpass mit Getreide besteht bereits seit einigen Jahren. Die Gründe sind:
- die wachsende Weltbevölkerung (66 Mio Menschen pro Jahr),
- der steigende Fleischkonsum insbesondere in Asien und
- Missernten auf Grund des Klimawandels.
Um die Ernährung zu sichern, wird Weizen seit mehreren Jahren aus der Notreserve entnommen. D.h. die Lagerbestände werden stetig abgebaut. So wird es auch im laufenden Jahr sein: die weltweiten Weizenvorräte schrumpfen voraussichtlich um 12 Millionen Tonnen (Mohr Wiebeke, n.d.). Anm.: China hat in den letzten Jahren immense Getreidevorräte angehäuft – beteiligt sich aber nicht am globalen Handel; deshalb werden diese Mengen in der Statistik nicht berücksichtigt.
Das Problem „Getreidemangel" wurde durch den Krieg verstärkt, aber der Krieg ist nur eine von vielen Ursachen. Die Mangelsituation wird also keineswegs verschwinden wenn der Krieg vorbei ist; es geht darum, langfristige und insbesondere sozial- und ökologisch nachhaltige Lösungen zu finden.
3) Es gibt unterschiedliche Konzepte, aber generell gilt: uns geht die Fläche aus!!
Damit man mehr Weizen, Mais oder Reis ernten kann, wird man nicht umhinkommen, Ackerfläche für Lebensmittel statt für Futtermittel und Bioenergie zu belegen. Das gilt auch für die Ausweisung von Agrarflächen für Solarparks, wenngleich das eine Lösung für die Energiewende ist.
Erst das Futtergetreide, ganz gleich ob aus der Ukraine oder aus der EU, ermöglicht die Haltung von Hochleistungskühen – Rinder, die sich unter natürlichen Bedingungen nicht ernähren können, die Kälber zur Welt bringen, die niemand will und für deren Milchleistung Flächen belegt werden, die wir nicht mehr haben.
Und somit sind auch unsere Kälber in Baden Württemberg ein Teil in diesem industriellen, nicht mehr zukunftsfähigen Agrarsystem.
Aber die Geschichte ist noch immer nicht zu Ende....
Die Milch von unserer Hochleistungskuh wird zum Teil getrocknet und daraus wird Milchpulver hergestellt. Milch besteht zu 88% aus Wasser, der Rest sind Fett, Eiweiß, Kohlenhydrate und Mineralstoffe.
Ende Mai hat die Molkereigenossenschaft Arla (Hauptsitz in Dänemark) eine neue Anlage zur Herstellung von Milchpulver eröffnet. Standort ist Pronsfeld in der Eifel. Dort werden pro Jahr 685 Millionen Kilogramm Milch zu 90.000 Tonnen Milchpulver verarbeitet (Arla Foods Weiht Neue Produktionsanlage Für Milchpulver Ein - WELT, n.d.).
Leider hat keine der zahlreichen Redaktionen, die darüber berichtet haben, über den immensen Energieverbrauch der Milchtrocknung geschrieben.
Wer mit Landwirtschaft nichts zu tun hat kann es vermutlich kaum glauben.... ein Teil des Milchpulvers geht zurück auf den Bauernhof, wird wieder mit Wasser angerührt und dem Kalb verfüttert. Und das ist tatsächlich „billiger", als einfach die frische Kuhmilch an das Kalb zu verfüttern. Unter anderem deshalb, weil das Milchfett durch Palm- und Kokosöl ausgetauscht wird.
Und zudem möchte man, nach eigenen Angaben von Arla, „internationale Märkte ausbauen und erschließen", insbesondere in Afrika.... Ich möchte die Frage in diesem Newsletter nicht vertiefen aber: wie kam es dazu, dass man anscheinend in Afrika das Milchpulver aus Pronsfeld braucht? Und ist das eine zukunftsfähige Lösung für die Ernährungskrise?
Was ist die Lösung für das Getreide-Kuh-Kalb-Problem?
Politik und Wissenschaft versuchen, wie so oft, ein Einzelproblem zu lösen, statt das System zu verändern. Die Kühe sollen weniger Kälber bekommen, mit Biotechnologie will man erreichen, dass überwiegend weibliche Kälber geboren werden usw.
Mein Vorschlag: in der Zeit vor der Intensivierung der Landwirtschaft hat man sog. „Zweinutzungsrassen" gehalten, so z.B. das Fleckvieh in Südwestdeutschland oder das Braunvieh (was eigentlich grau ist) im Allgäu. Rinderrassen, die zwar weniger Milch geben aber dafür auch zur Mast geeignet sind. Lokale Rinderrassen, die an den jeweiligen Standort angepasst sind und mit dem vorhandenen Futter von den Wiesen und Weiden auskommen.
Als Ganzes betrachtet sieht es so aus: Man braucht kein oder zumindest sehr viel weniger Getreide für die Kuh, somit gibt es mehr Ackerflächen für den Anbau von Brotgetreide statt von Futtermittel. Die Kühe haben weniger gesundheitliche „Hochleistungsprobleme", der CO2-Abdruck von Rindfleisch wird geringer und es gibt keine „Problemkälber", die man „weggeben" muss.
Und wie ist das bei Fairfleisch geregelt?
Da wir ausschließlich Fleisch vermarkten haben wir generell keine Betriebe mit Hochleistungsmilchkühen und somit auch kein „Kälberproblem“.
Der Einsatz von Importfuttermittel, insbesondere das Soja aus Übersee, ist nicht zulässig.
Ansonsten propagieren wir schon seit mehreren Jahren das Konzept „No food for feed“ – also keine Lebensmittel als Futtermittel zu verwenden. Hier gilt es, die Jahrzehnte lange Beratung von Politik, Behörden und Wissenschaft im Sinne einer Hochleistungslandwirtschaft zu entkräften und die Bauern und Bäuerinnen von einer nachhaltigen Form der Tierhaltung zu überzeugen.
Auch wenn es zynisch klingt, aber die derzeitige Krise bringt immer mehr Menschen zum Umdenken.
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